Was heisst eigentlich „systemrelevant“?

Im Forum von Spiegel Online wurde folgende Frage aufgeworfen, dieser Artikel ist der Versuch einer Erklärung

Ich hätte die Systemrelevanz im Einzelfall mal gerne erläutert. Wieso gibt es dazu keine Sondersendungen im Fernsehen? Bei Amokläufen wird bis in die letzten Winkel und Hintergründe recherchiert und berichtet. Bei „notleidenden“ Banken wird kurz auf die Systemrelevanz verwiesen und ganze Staatshaushalte zur Notlinderung bereitgestellt.

Ich glaub, NAIS hat da mit dem Verweis auf die Verkehrsinfrastruktur schon einen guten Vergleich gebracht. Das Problem ist, dass es für große Banken zur Zeit kein System der geordneten Liquidierung im Fall einer Insolvenz gibt (das Problem der Illiquidität bei Solvenz wird durch die Zentralbank gelöst, die in einem solchen Fall mit unbegrenzten Krediten gegen Sicherheiten einspringt).

Zur Verdeutlichung – Illiquide: Ich kann meine Rechnungen nicht bezahlen, weil ich kein Geld habe. Insolvenz: Meine Verbindlichkeiten übersteigen mein Vermögen. Beispiel: Jemand hat ein Haus für 300.000 EUR, aber sein Girokonto ist leer – in dem Moment ist er illiquide, und kann zunächst seine Rechnungen nicht bezahlen, er ist also auf einen Geldgeber angewiesen, was aber aufgrund der vorhandenen Sicherheit kein Problem sein sollte. Hat z. B. ein Unternehmen aber Vermögen (Bargeld, Maschinen, Forderungen aus Lieferungen) von 200.000 und Verbindlichkeiten von 500.000, ist es insolvent, und muss dementsprechend Insolvenz anmelden. Die Insolvenz ist bei den meisten Menschen, die vom Gehalt leben, nur schwer festzumachen, weil eben dieses Gehaltseinkommen in der Übersicht der vorhandenen Vermögenswerte nicht enthalten ist.

In dem Beispiel der Illiquidität wird eine wesentliche Aufgabe von Banken aufgezeigt: Durch die Kreditvergabe an solvente, also nicht überschuldete Personen und Unternehmen sorgen sie für einen Ausgleich, wenn Zahlungseingänge und Zahlungsausgänge auseinanderfallen, d. h. sie wirken als Verteiler von Kunden, die einen Überschuss an Geld haben zu Kunden, die vorübergehend zu wenig Geld haben. Die Gesamtheit der Banken bilden damit ein System, dass dafür sorgt, dass die gesamte Volkswirtschaft liquide bleibt.

Innerhalb des Bankensystems kommt es zu ähnlichen Schwankungen, wie bei den Bankkunden der einzelnen Banken, d. h. einzelne Banken haben überschüssige Mittel, und andere brauchen Liquidität. An dieser Stelle taucht dann die Frage der Systemrelevanz auf: Eine Bank wird dann als systemrelevant angesehen, wenn ihr Austritt aus dem Markt – also ihre Pleite – zu einem Zusammenbruch des Bankensystems führen würde.

Wie muss man sich das vorstellen? Betrachten wir zunächst ein Bankensystem ohne systemrelevante Banken – dies wäre ein System, in dem der Ausfall einer Bank X als Kreditgeber- oder Kreditnehmer nicht zu einem Zusammenbruch führt, weil die anderen Banken, die X Kredite gewährt haben, die Verluste verkraften können, weil sie über hinreichendes Eigenkapital verfügen, und weil ihre Kredite an X klein genug waren, um das Eigenkapital nicht aufzuzehren. Banken hingegen, die von X Kredite bekommen haben, können sich ohne Probleme bei den anderen Banken mit Mitteln versorgen, weil genügend Liquidität im System vorhanden ist. Für die Liquidität im System sorgt die Zentralbank, wie z. B. die EZB diese Woche mit einem 1-Jahres-Tender in Höhe von 442 Mrd. €, diesen Punkt brauchen wir im Weiteren also nicht zu betrachten. Ein solche System mit hinreichen kapitalisierten Banken wäre also stabil, weil es nicht zu einem Dominoeffekt kommen könnte, bei dem der Zusammenbruch einer Bank eine nicht zu stoppende Kettenreaktion zur Folge hätte.

Damit kommen wir zur Frage, was eine systemrelevante Bank ausmacht: Eine Bank wäre dann systemrelevant, wenn ihr Zusammenbruch und Ausscheiden aus dem Markt zu einer solchen Kettenreaktion führen würde, bei der am Ende das Bankensystem als Ganzes aufhört zu funktionieren. Eine Kategorie von systemrelevanten Banken sind Banken, die zu groß sind – wenn eine Bank hinreichend groß geworden ist, dann kann ihr Ausfall als Kreditnehmer dazu führen, dass die damit verbundenen Verluste bei den Kreditgebern zu einer Aufzehrung des Eigenkapitals führt, wodurch diese Banken selbst insolvent werden, was wiederum bei bisher unbeteiligten Banken zu Verlusten führt, die möglicherweise an dieser Stelle zu Verlusten und weiteren Insolvenzen führt usw. usf. Man kann sich dann den Unterschied zwischen systemrelevanten und nicht systemrelevanten Banken vorstellen wie den Unterschied zwischen einem Atomkraftwerk und einer Atombombe: Während im Atomkraftwerk die Zahl der Energie abgebenden Kernspaltungen ungefähr konstant bleibt, explodiert die Zahl der Kernspaltungen, was im Endeffekt zur Zerstörung des Systems führt.

Ein weiteres Beispiel für systemrelevante Banken sind Banken, die zu stark mit dem System verbunden sind, auch wenn sie relativ klein sind. Beispiele hierfür sind Kreditversicherer wie AIG oder Gegenparteien wie Bear Stearns: AIG hat für Banken etwas angeboten, was regulatorische Arbitrage genannt wird: Aufgrund der Eigenkapitalvorschriften von Basel II müssen Banken für Wertpapiere mit unterschiedlichem Ausfallrisiko unterschiedlich hohe Eigenkapitalreserven halten. Eine Eigenkapitalreserve ist für die Bank mit Kosten verbunden, weil sie keine Rendite bringt, die Bank ist daher bestrebt, zur Renditemaximierung das Eigenkapital möglichst klein zu halten. Regulatorische Arbitrage funktioniert dann so, dass eine Bank ein riskantes Papier bei AIG versichert hat. Dadurch war die Bank in der Lage, die Reserve für das riskante Papier zu verringern entsprechend dem Ausfallrisiko von AIG – und von den Ratingagenturen wurde festgehalten, dass der Ausfall von AIG so unwahrscheinlich war wie der Ausfall der Bundesrepublik Deutschland oder der USA – die erhielten also das Rating AAA. Das Problem hierbei ist, dass bei AIG das Risikomanagement versagt hat: Die abgeschlossenen Kreditversicherungen übertrafen bei Weitem die Tragfähigkeit der Versicherung, ohne dass dies AIG selbst oder den Ratingagenturen aufgefallen wäre. An dem Punkt, als die Versicherungen aufgrund der Krise dann ausgezahlt werden mussten, wäre AIG also ohne die Rettung durch den Staat pleite gewesen, so dass zum einen bestimmte Versicherungsnehmer ohne Versicherungsschutz dagestanden hätten, und zum anderen Banken, deren Wertpapiere noch in Ordnung waren, ihr Eigenkapital an das Risiko der Wertpapiere hätten anpassen müssen – ohne AIG wären die Eigenkapitalvorschriften verletzt worden, und die Bankenaufsichten hätten die Banken schließen müssen. Hiervon waren in Europa eine Reihe von systemrelevante Banken betroffen – die Insolvenz von AIG hätte also zu einem Zusammenbruch des europäischen Bankensystems geführt.

Totengesang der Effizienzmarkthypothese

FT Alphaville fassen in einem Artikel die Kritik von James Montier – Analyst bei Societe Generale – an der Effizienzmarkthypothese zusammen.

Praxisnahe Spieltheorie – warum man Blumen mitbringen soll

Das kommt dabei raus, wenn Spieltheoretiker über Beziehungen nachdenken: Sie finden eine Begründung, warum man dem Objekt der Begierde (OdB) Blumen mitbringen soll: Die Blumen wirken als mit Kosten verbundenes Signal für die Ernsthaftigkeit der Gedanken an eine Beziehung. Gleichzeitig schützen Blumen aufgrund des geringen Nutzens für das OdB den Schenker davor, ausgenutzt zu werden.

Den Abstract des Artikels von F. Bolle gibt es bei springerlink, den kompletten Text leider nur mit Uni-Lizenz.

Wiedervorlage – Bankenverstaatlichung

Etwas neues für meine lange Liste nicht gelesener Artikel – Mathew Richardson diskutiert Vor- und Nachteile der Bankenverstaatlichung, und kommt zum Schluss, dass dieser Weg eine Chance bietet, eine verlorene Dekade wie Japans 1990er zu vermeiden (und auch das bleibt unsicher).

Wissenschaftlichkeit in der Volkswirtschaftslehre

Ausgehend von einem Artikel von Brad DeLong hat sich eine interessante Diskussion entwickelt, die unter anderem Fragen wie –  Ist VWL überhaupt eine Wissenschaft? Sind Argumente von Fama et. al. das Äquivalent zur Theorie der Kreationisten? – berühren. Ein meiner Meinung nach bemerkenswerter Kommentar ist von Jacques René Giguère:

Astrophysicists might disagree on string theory, they don’t argue that the universe doenn’t exist…
What Fama and others do is willfully forget Keynes central insight: a money economy is totally and fundamentally different than a barter-goods-only economy.
In a barter-goods economy, you can have exchange,specialisation of labor, saving, investment, technical progress, almost anything you want. You can have a starvation causing-drought and you all die. You can have a recession if you stop working and the guy you traded with is forced to stop producing while he adjust his specialisation.
But the one thing you just can’t have is a depression. The real meaning of Say’s law is that saving implies producing an equivalent good which is then invested as inventory, therefore causing no fall in aggregate demand. In a goods-economy, you just can’t get a race to liquidity.
An economist not knowing that difference is worse than a biologist not knowing evolution. It’s a biologist not knowing the difference between an animal and a rock…and being proud of it.