Lesestunde 06.10.2010

Heute mal vor allem Links.

Calculated Risk verlinkt zu einer Reihe von Artikeln, die die schlechten Aussichten der US-Wirtschaft betonen, oder in den Worten von Jan Hatzius, Chefvolkswirt von Goldman Sachs:

We see two main scenarios for the economy over the next 6-9 months—a fairly bad one in which the economy grows at a 1½%-2% rate through the middle of next year and the unemployment rate rises moderately to 10%, and a very bad one in which the economy returns to an outright recession. There is not much probability of a significantly better outcome.

Dazu auch ein Artikel von FT Alphaville.

Die Stärke des Euros wird von FT Alphaville diskutiert, und welche Probleme dies besonders für die Länder an der Peripherie (Griechenland, Portugal, Irland z. B.) hat.

Chris Giles beschreibt, welche Probleme und Lösungsmöglichkeiten es für die internationale Politik gibt, das schwache Wachstum zu beschleunigen.

Martin Wolf diskutiert, wie man einen Abwertungskrieg mit China führen müsste. Yves Smith hat hierzu weitere Quellen.

Josh Kaufman beschreibt, wie man mehrere 100.000 US-$ und 2 Jahre seines Lebens einsparen und auf einen (Harvard/Wharton/…)-MBA verzichten kann.

Modeled Behavior gibt einen Überblick über die unterschiedlichen Makro-Modelle, die theoretischer Hintergrund für die aktuelle Diskussion über die einzusetzenden Politikmaßnahmen sind. Paul Krugman hat ein paar Kommentare dazu.

Kid Dynamite hat eine Antwort auf die Frage bekommen, weshalb das US-Finanzminister jetzt seine AIG-Anteile verkauft.

Die Ratingagenturen waren eine wichtige Ursache für das Entstehen der Finanzkrise. NBER hat jetzt den Einfluss der Zunahme des Wettbewerbs auf dem Markt für Ratings untersucht und kommt zu dem Schluss, dass die Qualität mit zunehmendem Wettbewerb abgenommen hat. Wenn dies zutrifft, spricht hier vieles für die Existenz eines natürlichen Monopols – folglich sollte diese Aufgabe vom Staat übernommen werden (bzw. von einer überstaatlichen Agentur). FT Alphaville hat eine Zusammenfassung des Paper.

Stephen Cechetti, Volkwirt bei der Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), hat in einem Vortrag den Fortschritt bei der Reform der Finanzmarktregulierung zusammengefasst.

Lesestunde 02.10.2010

Okay, worüber bin ich heute gestoplert?

Ein neues Paper zur Frage, wie Finanzmarktblasen entstehen, wurde von Andrew Odlyzko veröffentlich. Dieser kommt zum Schluss, dass hierfür vor allem die Leichtgläubigkeit der Investoren verantwortlich ist, und schlägt einen Index zur Messung der aktuellen Leichtgläubigkeit vor. Dieser misst die erwartete Rendite (normalerweise 10% für Aktien p. a., in Blasenzeiten ca. 20%), untersucht die Verbreitung von Zahlenanalphabetismus, die in Boomzeiten anscheinend zunimmt, und die Erfolgsrate von Nigera-Spam. Die Autoren von FT Alphaville haben aber Zweifel, dass die Verfügbarkeit eines solchen Index das Auftreten von Blasen verhindern würde, da sie bezweifeln, dass sich Anleger an Fundamentalwerten orientieren. Vielmehr gehen sie davon aus, dass sich Anleger am erwarteten Verhalten der anderen Investoren orientieren, was wiederum in den Bereich rationaler Blasen führt.

FT Alphaville hat eine interessante Geschichte aufgeschnappt: Demnach wurde der Eigenhandel (prop trading) von den Banken bereits unmittelbar nach der Krise deutlich eingeschränkt, wie man am Rückgang des Eigenkapitalhebels sieht.

Entwicklung des Eigenhandels 2008-2010

Entwicklung des Eigenhandels 2008-2010

Tim Harford hat einen schönen Artikel über verschiedene Modelle der Wachstumstheorie. Für mich ist dies das optimistischste Fach, dass es in der Volkswirtschaftslehre gibt, denn sie zeigt, dass auch die schwersten negativen Schocks in relativ kurzer Zeit überwunden werden können – die beeindruckendste Grafik war für mich dabei, wie mit einer einfachen Differentialgleichung das deutsche Wirtschaftswunder in der Nachkriegszeit zu einem Gutteil erklärt werden kann.

BIP (log) Deutschland 1850-2008

BIP (log) Deutschland 1850-2008

Daten: Maddison

Felix Salmon verlinkt auf einen Artikel, der die Reprivatisierung von AIG unter die Lupe nimmt, und der zu folgenden offenen Fragen führt:

  1. The fact that we’re doing this conversion in the first place. The preferred stock we currently own pays a regular coupon, while the equity we’re swapping it for was described as worthless by AIG itself not so long ago.
  2. The fact that as part of the deal we’re giving current AIG shareholders free warrants to buy stock at $45 per share. Which is very generous of us, but what have they done to deserve this?
  3. Most importantly, the fact that the stock we’re swapping into is worth less, at current valuations, than the preferred stock we’re swapping out of. To the tune of about $6.6 billion.

Wissenschaftlichkeit in der Volkswirtschaftslehre

Ausgehend von einem Artikel von Brad DeLong hat sich eine interessante Diskussion entwickelt, die unter anderem Fragen wie –  Ist VWL überhaupt eine Wissenschaft? Sind Argumente von Fama et. al. das Äquivalent zur Theorie der Kreationisten? – berühren. Ein meiner Meinung nach bemerkenswerter Kommentar ist von Jacques René Giguère:

Astrophysicists might disagree on string theory, they don’t argue that the universe doenn’t exist…
What Fama and others do is willfully forget Keynes central insight: a money economy is totally and fundamentally different than a barter-goods-only economy.
In a barter-goods economy, you can have exchange,specialisation of labor, saving, investment, technical progress, almost anything you want. You can have a starvation causing-drought and you all die. You can have a recession if you stop working and the guy you traded with is forced to stop producing while he adjust his specialisation.
But the one thing you just can’t have is a depression. The real meaning of Say’s law is that saving implies producing an equivalent good which is then invested as inventory, therefore causing no fall in aggregate demand. In a goods-economy, you just can’t get a race to liquidity.
An economist not knowing that difference is worse than a biologist not knowing evolution. It’s a biologist not knowing the difference between an animal and a rock…and being proud of it.

Noble Zurückhaltung im Diskurs

Paul Krugman scheint die Geduld mit Eugene Fama zu verlieren:

Eugene Fama, completely not getting it.

Grob übersetzt: Fama rafft es einfach nicht. Schon witzig, wie Nobelpreisträger und weltbekannte Finanzmarkttheoretiker miteinander streiten. Mehr zu den fundamentalen Unterschieden in den Ansichten zwischen Neoklassikern und Neokeynesianern gibt es beim Angry Bear, der eine Unterscheidung zwischen den Süßwasserökonomen und den Salzwasserökonomen einführt.

Zum Inhalt: Krugman ist ein eifriger Verfechter einer großzügigen Fiskalpolitik, die im Zweifel die gesammte Outputlücke, die durch Wegfall der privaten Nachfrage entsteht, durch Ausgaben des Staates ersetzen möchte. Fama hingegen vertritt den Standpunkt, dass eine solche Fiskalpolitik nichts bewirken würde, da die notwendigen Schulden zur Verdrängung privater, schuldenfinanzierter Investitionen im gleichen Ausmaß führen würde, was dem klassischen Ergebnis der Makrotheorie einer kleinen offenen Volkswirtschaft entsprechen würde.

Meiner Meinung nach liegt die Wahrheit in der Mitte – es ist utopisch, und aufgrund der explodierenden Staatsverschuldung nicht wünschenswert, die gesamte Outputlücke mit Staatsausgaben zu schließen. Im gleichen Maße ist aber nicht davon auszugehen, dass die Staatsverschuldung private Investitionen vollständig verdrängen würde, da ja eine der wesentlichen Ursachen der aktuellen Krise darin liegt, dass aufgrund der schlechten Aussichten zu wenige Investitionen getätigt werden. Insofern liegt die geplante private Investition unterhalb der geplanten privaten Ersparnis. Würde der Staat nicht einspringen, würde das Sozialprodukt in dem Maße unter dem Potenzial liegen (mit entsprechender Unterbeschäftigung der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital), in dem die Ersparnis ex post über der Investition liegen würde, mit anderen Worten, im Ausmaß dieser Lücke kann der Staat sich verschulden, ohne private Investitionen zu verdrängen.