Die Finanzkrise und das Versagen der Wirtschaftswissenschaften

Mehrere Universitätsprofessoren haben sich letztes Jahr in Dahlem zusammengesetzt und darüber diskutiert, warum Ursachen und Ausmaß der Finanzkrise von der Wissenschaft so spät erkannt und falsch eingeschätzt wurde. Die Ergebnisse haben sie in einem Paper zusammengefasst.

Wo bleibt die Manöverkritik?

– fragt Yves Smith die Volkswirte. In ihrem Artikel beklagt sie, dass die Ökonomen, die an wesentlichen Schaltstellen bei der Deregulierung der Finanzmärkte saßen, und die die Immobilienblasen und Außenhandelsgleichgewichte zu spät als Gefahr für die wirtschaftliche Stabilität erkannt haben, noch nicht genügend Bereitschaft zeigen, innezuhalten und sich zu fragen, welche Fehler in dem System stecken, das ökonomisches Wissen schaffen möchte.

Mea Culpa – Risikomanagement-Ausgabe

Vor ein paar Tagen hatte ich auf den Artikel von Martin Wolf verwiesen, der als Chefvolkswirt der FT sich die Frage gestellt hat, warum die Volkswirte diese Krise nicht haben sehen können.

Jetzt schreibt Matthew Stewart, der als Risikomanagement-Berater gearbeitet hat, warum die Risikomanagement-Modelle versagt haben. Meiner Meinung nach die Kernaussage:

At the bottom of every financial model there is in fact a stubborn lie—the pretense that financial markets operate in the manner of a physical process, subject to the iron laws of statistics, like atoms bouncing around in a thermodynamic equilibrium. This beguiling analogy makes it too easy for geeks like me to lose sight of a timeless truth: If atoms could talk to one another, then the laws of thermodynamics would get broken every day by clouds of stampeding gases.

Andererseits wehrt er sich auch dagegen, dass jetzt die Schuld für die Krise bei den Quants abgeladen wird:

Models don’t kill banks; bankers kill banks. We geeks may grunt a lot (we want the world to know how laborious our calculations are), but the truth is that our models aren’t that hard to build, and they aren’t that hard to take apart. When bankers and their advisers fail to question the premises of these models, it’s usually because they find those premises quite congenial. The models merely provide an excuse to exercise a faculty for which human beings have always shown a special talent, namely, wishful thinking.

Als Ursache für die Krise sieht er eher die Möglichkeiten der Selbstregulierung, und die Kompensationsmechanismen, die sich in den Investmentbanken breit gemacht haben:

At the origin of the current crisis is not a new kind of mathematics but a fundamental change in the system of rewards and punishments that steers the financial management of the modern economy.

Schumpeter’s followers need no longer worry about risk-averse corporate bureaucrats. Thanks to heads-I-win-tails-you-lose incentive plans, not to mention „regulation“ that consists of urging banks to keep a close eye on themselves, the leaders of our large financial institutions have become some of the riskiest people in business. Indeed, their willingness to gamble with other people’s money represents a new, fundamental force in modern capitalism. Schumpeter, lifting a line from Friedrich Nietzsche, talked about the gales of „creative destruction“ that sweep away the unproductive elements in a capitalist economy and make way for the new.  In this reckless age, the right phrase would be „destructive destruction.“

Mea culpa

Martin Wolf hielt seine Rede bei der Jahresparty der FT-Volkswirte und lud unsere Zunft ein, in Zukunft bescheidener zu werden vor dem Hintergrund, dass die breite Masse der Volkswirte die Finanzkrise nicht in dieser Form vorhersehen konnten.

Ein wichtiger Punkt, der seiner Meinung nach dazu führte, dass insgesamt die Schwere der Finanzkrise nicht vorhergesehen wurde, ist die übertriebene Spezialisierung in der Wissenschaft, wo zwar Makroökonomen, Risikomanager usw. jeweils ein Krisenszenario in ihrem Wissengebiet erkannt haben, aber nicht die Abhängigkeit zwischen den unterschiedlichen Krisenszenarien – dass also effektiv die Krise im einen Bereich die Krise im nächsten Bereich ausgelöst hat.

In der Diskussion bringt Paul Seabright diesen Punkt, der meiner Meinung nach erwähnenswert ist:

The real surprise, though, was that the bubble burst because banks stopped trusting each other before the rest of us stopped trusting banks – we had become used to the fiction that banks’ collective self-confidence was limitless and that it was only the small-depositor public’s trust that had to be kept going by deposit insurance and cheap money.
Banks were supposed to exercise selective and careful trust of each other, rather than veering between blind confidence and the sudden suspension of trust en masse.

Vielleicht müssen hier mal die Modelle des Bank run überarbeitet werden.