Geldmarkt taut nur sehr langsam auf

Auch wenn die Kursbewegungen an den Börsen die meiste Aufmerksamkeit in den Medien bekommen, so findet die richtige Krise doch am Geldmarkt statt, also am Markt für kurzfristige Kredite. Der Leitzins hierfür ist der LIBOR (London Interbank Offered Rate), der zur Zeit einen Abstand zu den Renditen kurzfristiger Staatsanleihen von gut 400 Basispunkten hat (d. h. 4 Prozentpunkte). Nick Gogerty hat einmal grob durchgerechnet, welche Kosten für die Wirtschaft aufgrund des erhöhten LIBOR bisher entstanden sind: Ungefähr 730 Mrd. $.

Das Bemerkenswerte an dieser Entwicklung ist, dass dieser Spread entstehen konnte, obwohl die Zentralbanken die Geldmärkte mit Liquidität überfluten, nach FT Alphaville mit mehreren Billionen US-$.  Meiner Meinung nach ist dies aber auch einer der Gründe dafür, dass der Interbankenmarkt nicht wieder anspringt, weil die Banken auf der Nachfrageseite sich zu günstigeren Konditionen bei der Zentralbank refinanzieren können. Dies wird auch noch so lange der Fall sein, bis wieder genug Vertrauen im Markt entstanden ist, dass die Gegenparteien nicht plötzlich doch ausfallen.

Wie ich bereits hier geschrieben habe, wäre eine Lösung für dieses Problem, wenn die Zentralbank als Clearinghouse die zentrale Gegenpartei im Internbankenmarkt sein würde. Willem Buiter hat diese Idee weiter ausgeführt.

Ungewollte Konsequenzen des Lehman-Zusammenbruchs

Mittlerweile dürfte es ein Allgemeinplatz geworden sein, dass es ein Fehler war, Lehman zusammenbrechen zu lassen – meiner Interpretation nach deshalb, weil die Banken komplett verunsichert wurden, wie stabil ihre Geschäftspartner denn wirklich sein würden.

John Hempton beleuchtet aber ein weiteres Problem, das aus einer regulatorischen Lücke in Großbritannien stammt: Während in den USA (und meines wissens nach auch in Deutschland) Wertpapiere der Kunden unabhängig vom Vermögen der Bank sind, die diese verwaltet, konnte Lehman die Wertpapiere ihrer Kunden in Großbritannien als Sicherheit für eigene Kredite verwenden, weswegen jetzt die Wertpapiere dieser Kunden in der Konkursmasse eingefroren sind.

Dies ist ein Problem für die Hedgefonds-Kunden, die z. B. Aktien auf Kredit gekauft haben, und jetzt Nachschüsse liefern müssen, weil sie die Aktien nicht verkaufen können. Im Endeffekt wurden diese stark gehebelten Hedgefonds-Positionen zu Lehman-Positionen, und mussten schnell aufgelöst werden, wodurch der Verkaufsdruck auf allen Finanzmärkten erhöht wurde. Eine andere Folge ist die Kursexplosion bei Volkswagen, weil viele Hedgefonds VW leerverkauft haben. Ausgelöst durch die Auflösung der Positionen bei Lehman stieg VW, und viele andere Fonds, die VW short waren, mussten sich eindecken, mit der bekannten Folge eines short squeeze, und einer allgemeinen Ansteckung der Hedgefonds, die bisher noch nicht von Lehman betroffen waren. Hemptons Fazit: The market remains irrational – but it might be irrational for rational reasons.

Die Krise in Osteuropa

Während Russlands Börse ja schon eine ganze Zeit im Gleichtakt mit dem Westen zusammenbricht, scheinen die Probleme jetzt auch immer stärker auf den russischen Geldmarkt überzugreifen: Die mittelgroße Bank Globex hat die Einlagen eingefroren, nachdem in den letzten beiden Monaten 29% abgezogen wurden, was dazu geführt hat, dass bei anderen Banken die Einlagen verstärkt abgezogen werden. Mittlerweile hat die Regierung 149 Mrd. € für Kriseninterventionen bereitgestellt.

Gleichzeitig verhandelt die Ukraine mit dem Internationalen Währungsfonds über einen Notkredit in Höhe von 14 Mrd. $, und Ungarn hat am Donnerstag von der EZB eine 5 Mrd. € Kreditlinie bewilligt bekommen.

Während es wenig überrascht, dass die Länder mit Leistungsbilanzdefizit in dieser Krise Probleme bekommen, bin ich vom Ausmaß in Russland doch etwas überrascht – dort sind die Börsenkurse bereits um 66% eingebrochen.

Quelle: http://www.nakedcapitalism.com/2008/10/russian-banking-system-teetering.html

Wie man mit Excel Geld vernichten kann

Okay, hier lag der Fehler nicht bei der Software selbst, sondern saß vor dem Computer, aber immer noch bemerkenswert: Als Barclays Teile von Lehman übernommen hat, wurden die einzelnen Kreditverträge in einer Excel-Tabelle gesammelt, wobei 179 Verträge versteckt wurden, die nicht übernommen werden sollten. Bei der Konvertierung in PDF für das Insolvenzgerichtsverfahren tauchten die Verträge leider wieder auf.

Eine Reihe ernsthafter Probleme mit Excel zeigt Patrick Burns auf.

Schnell rein – schnell wieder raus, und ein paar Vorschläge zur Regulierung

Nachdem Willem Buiter in seinem Blog auf ft.com sehr früh und sehr eindringlich für eine Rekapitalisierung und Verstaatlichung der Banken geworben hat, damit die Märkte wieder Vertrauen fassen, argumentiert er jetzt dafür, dass der Staat sich auch so schnell wie möglich wieder aus dem Geschäftsbankensystem zurückzieht.

Seine wesentlichen Argumente ergeben sich aus den Folgen politischen Einflusses auf die Geschäftspolitik:

  • Politisch gewünschte Kreditvergabe zur makroökonomischen Stabilisierung, deren Nachteil darin besteht, dass hier die Banken gezwungen werden Risiken auf sich zu nehmen, die sie gerade in der Rezession nicht auf sich nehmen sollten.
  • Mittelvergabe nach politischen Kriterien, d. h. die Banken werden eine günstige Geldquelle für politische Projekte, die ansonsten vom Staat finanziert werden müssten.
  • Postenschacher, Banken werden zum Abstellplatz für Politpensionäre.
  • Wettbewerbsverzerrung, da die Staatsbanken – wie bisher die Landsbanken unter Gewährsträgerhaftung – günstiger refinanzieren können. Diese Banken haben ebenso einen Wettbewerbsvorteil, wenn es um die Einlagensicherheit geht.

Im gleichen Beitrag macht er eine Reihe von Vorschlägen, welche Änderungen an den Finanzmarktregularien vorgenommen werden sollen:

  • Global agierenden Banken müssen globale Überwachungsinstitutionen gegenübergestellt werden.
  • Die Regulierung muss alle Unternehmen betreffen, die mit großem Eigenkapitalhebel am Finanzmarkt tätig sind, unabhängig davon, ob sie sich Bank, Versicherung, Hedgefonds, Special Purpose Vehicle oder Fahrradladen nennt.
  • Die Überwachung muss anhand extern nachvollziehbarer Kennzahlen erfolgen, d. h., das System von Basel II, das auf internen Risikomodellen beruht – und zur regulatorischen Arbitrage eingeladen hat, muss wieder abgeschafft werden.
  • Die Überwachung darf nicht von Informationen abhängig sein, die von möglicherweise nicht objektiven, privaten Ratingagenturen bereitgestellt werden.
  • Die Regulierung muss die verwendeten Hebel und das Mismatching (Laufzeit, Liquidität, Währung) begrenzen. Möglicherweise ist hier der Hebel der einzig wichtige Parameter, wenn das mögliche Mismatching vom Hebel abhängt.
  • Die Regulierung muss sich sowohl auf die Liquidität der Kreditmärkte und Kapitalmärkte als auch auf die Eigenkapitalausstattung der Banken konzentrieren.